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DIALOG

STEPPKE HAT GEFRAGT. NRW ANTWORTET.

Zum Thema „Corona und Schulschließungen“ haben wir das Schulministerium für Euch kontaktiert.

Benjamin Verhoeven, den wir um seinen Job nicht beneiden, hat sich die Zeit genommen, 

wirklich ausführlich zu antworten. Wir finden, es ist lesenswert, 

was dieser vielbeschäftigte Mann in Düsseldorf so schreibt…

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Sehr geehrter Herr Leifeld,

liebe Leserinnen und Leser des STEPPKE.ONLINE


wie versprochen, melde ich mich nach unserem ausführlichen Telefonat noch einmal mit einer schriftlichen Antwort auf Ihre Fragen.


1. Warum gibt es nicht für alle Schulkinder – unter dem Aspekt der allgemeinen Schulpflicht – Präsenzunterricht an den Schulen – auch an weiterführenden Schulen?


Für die Wiederaufnahme eines verantwortlichen Normalbetriebs an den Grundschulen und den Schulen der Primarstufe gab es verschiedene Gründe:


· Belastung der Kinder

Verschiedene medizinische Fachgesellschaften, darunter die Kinder- und Jugendärzte, raten nach Abwägung der Risiken dringend dazu, Kindertageseinrichtungen und Grundschulen wieder stärker zu öffnen. Besonders für Kinder im Alter von bis zu 10 Jahren seien die Folgen der Corona-Maßnahmen als schwerwiegend anzusehen.


· Belastung der Eltern

Die Corona-Pandemie und der darin begründete Shutdown haben Familien in den vergangenen Monaten vor große Herausforderungen gestellt. Von heute auf morgen musste der familiäre Alltag umorganisiert werden. Die Belastung Home-Office, Kinderbetreuung und Schulunterricht zuhause unter einen Hut zu bringen, waren für sehr viele Eltern enorm. Das wissen wir u.a. aufgrund hunderter Zuschriften, in denen uns verzweifelte Eltern die Öffnung der Schulen forderten, da sie am Ende ihrer Kräfte wären. Die Frage der Betreuung stellt sich insbesondere für Eltern von schulpflichtigen Kindern in den Klassen 1 bis 6. Entsprechend galt zuvor das Notbetreuungsangebot auch für diese Altersgruppe.


· Rechtliche Vorgaben
Möglich wurde die Rückkehr zum Regelbetrieb durch eine Neuregelung der infektionsschutzrechtlichen Rahmenbedingungen. Das neue Konzept, das bereits zuvor in anderen Ländern mit Erfolg verfolgt wurde, ersetzt die individuelle Abstandswahrung durch die Bildung konstanter (Lern-)Gruppen, deren Durchmischung durch Trennung vermieden wird. Dieses Konzept ist in der Primarstufe wegen des vorherrschenden Unterrichts im Klassenverband und wegen des Klassenlehrerprinzips, das zusätzliche Fluktuation vermeiden hilft, mit pädagogischen und schulorganisatorischen Rahmenbedingungen gut vereinbar. Für die weiterführenden Schulen, wo der Großteil des Unterrichts im Kurssystem abgehalten wird, bot es sich ohne weiteres weniger an.


· Allgemeine Lockerungen
Am 8. Juni 2020, also bereits eine Woche vor der weiteren Öffnung der Grundschulen, sind die Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen zu einem eingeschränkten Regelbetrieb zurückgekehrt. Das Land Sachsen hatte dies bereits für die Grundschulen umgesetzt, andere Länder wie Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein u.a. wollten diesen Weg ebenfalls gehen.


Eine Aussetzung der Schulpflicht gab es formaljuristisch übrigens nie. Diese wurde während des Shutdowns durch die Teilnahme am Lernen auf Distanz erfüllt. 


2. Warum wird der Unterricht einerseits an weiterführenden Schulen ohne Präsenzpflicht allgemein - also digital - durchgeführt, hingegen aber gerade den Grundschülern eine „Normalität“ möglicherweise aufgezwungen, die wissenschaftlich nicht hinreichend abgesichert ist?


Die Differenzierung zwischen den Schulen der Primarstufe und jenen der der Sekundarstufen I und II in diesem Punkt hat vor allem pädagogische Gründe. In den Grundschulen ist Unterricht grundsätzlich weit weniger digitalisiert als an den weiterführenden Schulen. Vielmehr werden im Primarbereich die Grundlagen dafür gelegt, dass sich Schülerinnen und Schüler später mit komplexeren Sachverhalten auseinander setzen und z.B. eine Medienkompetenz ausbilden können. Zudem spielen z.B. beim Schreiben lernen haptische und motorische Faktoren eine signifikante Rolle, die durch regelmäßiges Üben ausgebildet werden.


Das Thema „Digitalisierung“ hat m.W. bei der Entscheidung zur weiteren Öffnung der Grundschulen keine besondere Rolle gespielt.


3. Warum hat man nicht allen Schülern einen eingeschränkten Unterricht, mit geteilten Lerngruppen an unterschiedlichen Tagen bis Schuljahresende angeboten - und für die einzelnen unbetreuten Kinder eigene Lösungen angeboten, statt für wenige Kinder möglicherweise alle Kinder in einer Altersgruppe zu gefährden?


Dieses Modell entspricht dem Verfahren vor dem 15. Juni 2020, nach dem an den allermeisten Schulen alle Jahrgänge tageweise rollierend im Präsenzunterricht unterrichtet wurden. Dementsprechend wenige Unterrichtstage entfielen auf die einzelne Klasse oder den einzelnen Kurs.


Frau Ministerin Gebauer hat in diesem Zusammenhang immer wieder betont, dass für sie, wenn es um die Bildung gehe, jeder Tag zähle und sie den Schülerinnen und Schülern – insbesondere in der Grundschule – noch vor den Sommerferien einen durchgehenden und geordneten Schulalltag ermöglichen wolle. Zeitgleich kündigte auch die Kultusministerkonferenz (KMK) an, „so schnell wie möglich eine Wiederaufnahme des schulischen Regelbetriebs“ anzustreben, sofern das Infektionsgeschehen dies zulasse.


4. Liegt es im Ermessen der einzelnen Schulen, Hygiene- und Schutzmaßnahmen doch weiter in Kraft zu halten, bis abschließend geklärt ist, ob Kinder nicht oder doch infektiöser sind, als bisher von einigen Experten angenommen? Vor allem unter dem Aspekt der MIS-C-Krankheit, die mit Symptomen vergleichbar dem Kawasaki-Syndrom, im Ursprung der Corona-Pandemie zugerechnet werden…


Dem Prinzip der eigenverantwortlichen Schule folgend, kann die Schulleitung auf der Grundlage der Hygienevorgaben des Ministeriums für Schule und Bildung z.B. das Tragen von Mund-Nase-Masken anordnen, wenn es die organisatorischen oder baulichen Gegebenheiten der jeweiligen Schule erforderlich machen. Das kann z.B. auf den Verkehrsflächen, auf Pausenhöfen und im Sanitärbereich der Fall sein. Auch das Einhalten des Mindestabstands von 1,5 m außerhalb des Unterrichts kann eingefordert werden.


5. Besteht persönlich für Kinder die Möglichkeit, wegen z.B. gefährdeter Großeltern, und wenn sie nicht in Gefahr sind, binnen zehn Tagen die Schullaufbahn zu gefährden, von der Präsenzpflicht ausgenommen zu werden?


Zu dieser Frage hatten wir uns, wenn ich mich richtig erinnere, aufgrund der Eilbedürftigkeit bereits telefonisch ausgetauscht.


Wie schon besprochen, sind Schülerinnen und Schüler nach Wiederaufnahme des Schul- und Unterrichtsbetriebes grundsätzlich verpflichtet, am Präsenzunterricht teilzunehmen. Es gelten die allgemeinen Bestimmungen zur Schulpflicht und damit zur Teilnahmepflicht. Dies gilt auch für den Fall eines eingeschränkten Unterrichts (z.B. bei einem sog. rollierenden System).


Unter gewissen Voraussetzungen hatten Eltern von Schülerinnen und Schülern, die mit Angehörigen mit entsprechenden Vorerkrankungen in häuslicher Gemeinschaft leben, bis zum Ende des abgelaufenen Schuljahres die Möglichkeit, ihre Kinder von der verpflichtenden Teilnahme am Präsenzunterricht zu entbinden. Die Schülerinnen und Schüler waren jedoch weiterhin dazu verpflichtet, daran mitzuarbeiten, dass die Aufgabe der Schule erfüllt und das Bildungsziel erreicht werden kann (vgl. § 42 Absatz 3 Satz 1 SchulG). Hierzu gehört auch die Wahrnehmung von Lernangeboten und Bearbeitung von Aufgaben (insbesondere im Rahmen des Lernens auf Distanz) sowie die Teilnahme an Prüfungen.


Ich gehe davon aus, dass diese Regelungen auch im kommenden Schuljahr ihre Gültigkeit behalten werden. Die 24. Schulmail zum Umgang mit dem Corona-Virus an Schulen verweist bereits auf einige Punkte, zu denen im Laufe der Sommerferien Regelungen und Konkretisierungen durch unser Ministerium zu erwarten sind. Dazu gehört sicherlich auch der Umgang mit vorerkrankten Schülerinnen und Schüler sowie Kindern und Jugendlichen, die mit vorerkrankten Angehörigen in einem Haushalt leben.



Die Aussetzung des Unterrichts und vor allem die schrittweise Wiederaufnahme des Schulbetriebs haben zu einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Reaktionen geführt. Die darin vorgetragenen Sorgen, Ängste und Nöte werden hier im Ministerium ebenso wie in der gesamten Landesregierung sehr ernst genommen. Aber auch die zahlreichen unterstützenden Rückmeldungen und Anregungen zeigen, dass es ein breites gesellschaftliches Bild gibt, wie mit der schulischen Bildung von Kindern und Jugendlichen in dieser außergewöhnlichen Situation umgegangen werden soll.


Die Landesregierung wird in den kommenden Wochen die Entwicklung des Infektionsgeschehens weiter sehr genau beobachten und die beschriebenen Maßnahmen erforderlichenfalls anpassen. Erklärtes Ziel ist es, das Recht auf Bildung unserer Schülerinnen und Schüler unter Beachtung des notwendigen Gesundheitsschutzes für alle bestmöglich umzusetzen. Jeder Tag, an dem Unterricht im Normalbetrieb erteilt werden kann, ist für den weiteren Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen ein wichtiger Tag.


Ich hoffe, Ihren Fragen damit beantwortet zu haben 

und wünsche Ihnen alles Gute.


Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag


Benjamin Verhoeven


Ministerium für Schule und Bildung

des Landes Nordrhein-Westfalen

Völklinger Str. 49

40221 Düsseldorf

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